Small World

Regie & Drehbuch: Bruno CHICHE nach dem gleichnamigen Roman von Martin SUTER
Kamera: Thomas HARDMEIER
Mit: Gérard DEPARDIEU, Alexandra Maria LARA, Nathalie BAYE, Françoise FABIAN, Niels ARESTRUP, Pascale ARBILLOT, Yannick RENIER u.a.


F/D 2010

Mittwoch, 16. Nov. 2011

Der Freigeist Konrad Lang (Gérard Depardieu) ist alt geworden und vergisst zunehmend die Ereignisse der vergangenen Tage. Allein seine Kindheitserinnerungen scheinen nicht zu verblassen. So begibt er sich auf den herrschaftlichen Wohnsitz seines Jugendfreundes Thomas (Niels Arestrup). Dessen Mutter Elvira (Françoise Fabian), das resolute Familienoberhaupt der Industriellenfamilie Senn, gewährt Konrad zwar Unterkunft, reagiert jedoch zunehmend beunruhigt und ablehnend auf Konrads Erinnerungen. 
Einzig Simone (Alexandra Maria Lara), die Frau ihres Enkels, versucht Konrads wirres Erinnerungs-Puzzle wieder zusammenzusetzen, ahnt allerdings nicht, dass sie damit einem lebensgefährlichen Geheimnis auf der Spur ist …

Inhalt:
Die Welt ist klein, die Bruno Chiche aus Martin Suters Roman "Small World" erstehen lässt.
Als Konrad Lang zurückkommt, steht alles in Flammen, außer dem Holz im Kamin: Weil die leer stehende griechische Ferienvilla der Industriellenfamilie Senn nicht wintertauglich ist, wollte sich der zerstreute Lang (Gérard Depardieu) im Gästetrakt aufwärmen. Nun wird es ihm zu heiß in dem Anwesen, in dem er schon als Hausmeister lebt, länger als er sich entsinnen kann. An einige Dinge kann sich der alternde Lang nicht mehr recht erinnern. Darum vergisst er seine Brieftasche im Kühlschrank, vergisst, welches Jahr es ist.
Nur die Jahreszeit zu bestimmen, fällt ihm leicht: Winter, darum liegt draußen Schnee. Durch ihn stapft er zum Haus des fast gleichaltrigen Thomas Senn (Niels Arestrup), in dem Konrad wie ein Ziehkind aufwuchs. Durch die "Piratentür" betritt er das vornehme Anwesen, das beherrscht wird von Thomas′ Mutter Elvira (Françoise Fabian). Wie ein Einbrecher erscheint Konrad der schwermütigen Matriarchin, die fürchtet, dass die die seit Jahrzehnten unbenutzte Tür nicht das einzige Geheimnis ist, welches aus der Vergangenheit in Konrads verwirrter Erinnerung auftaucht, während die Gegenwart ihm entgleitet. Wenn es taut, kommt an den Tag, was unterm Schnee verborgen lag : und der Schnee längst vergangener Jahre hatte den Mantel des Schweigens über manch schmutzige Familienintrige gedeckt.

Nicht kongenial, aber dennoch brillant ist Chiches Variation von Suters intimer Studie der Alzheimer:Krankheit als vertracktes Familienkomplott, dessen Figurenensemble einer Agatha Christie würdig ist.
In unterkühlter Eleganz inszeniert Bruno Chiche Martin Suters kriminalistisches Drama "Small World". Überall lauern subtile Metaphern in der malerischen Düsterkeit der Szenengemälde. Frostig wie die Winterlandschaft ist die Atmosphäre in dem weitläufigen Herrenhaus. Liebe erfriert in der vornehmen Kälte wie drei von Konrads Zehen, nachdem er geistesabwesend durch das Weiß stapft. Gut, dass sieben seine Glückszahl ist, lächelt der wundervolle Konrad – senil? Wissend?  "Manchmal glaube ich, Sie spielen nur", vermutet nicht nur seine Krankenschwester. Ein bravouröser Traumtänzer, ein der Welt abhanden Kommender ist Depardieus Konrad Lang. Was er unbewusst allein durch seine Rückkehr einfordert, erinnert den sanften Koloss nur als spielerischen Kinderreim. "Tomi – Koni, Koni – Tomi" – bis die grandiosen psychologischen Vignetten der aristokratisch:kalten Familienregentin einen grausigen Spiegel vorhalten und der letzte Besuch der alten Dame Konrad für immer süßes Vergessen bringen soll. Fabians äußerlich gefühlskalte, innerlich glühende Schneekönigin krönt den Gefühlsthriller, von Chiche aus der Schweiz nach Frankreich. Grausame Ironie des Schicksals funkelt in der letzten Facette, die Chiches feingeschliffenes Filmjuwel enthüllt. Und der Schnee, der auf die Lebenden und die Toten fällt, scheint noch kälter zu werden durch einen Hauch trauriger Zärtlichkeit.

Nach: www.filmrezension.de


Letzter Teil des Gérard Depardieu-Schwerpunkts