Der Pianist

Regie: Roman POLANSKI
Drehbuch: Ronald HARWOOD, nach Wladyslaw SZPILMANs Autobiographie
Kamera: Pawel EDELMAN
Musik: Wojciech KILAR Mit: Adrien BRODY (Wladyslaw Szpilman), Thomas KRETSCHMANN (dt. Offizier), Frank FINLAY (Vater), Mareen LIPMAN (Mutter), Emilia FOX (Dorota), Ed STOPPARD (Henryk) u.v.a.

F/Pol/D/GB 2002, ca. 150 Min.

Mittwoch, 23. April 2003


Zwei BAFTAs (Preise der Britischen Filmakademie), sieben CESARS (franz. Filmpreise), drei OSCARS und viele andere Auszeichnungen hat „Der Pianist“ bekommen.

Dabei gibt es in diesem Film nichts Sensationelles, keine waghalsigen Verstöße gegen filmische Konventionen. Nur diese eine, wunderbare Geschichte von Wladyslaw Szpilman, der 1939, als Deutschland Polen den Krieg erklärte, als Pianist beim Warschauer Rundfunk bescheidenen Ruhm genießt. Er und seine Familie machen alle Stationen des Leidens der Juden mit: die Konfiszierungen des Besitzes und der Wohnung, die Kennzeichnung mit dem Davidstern, das Berufsverbot, die Umsiedlung ins Ghetto,  Krankheit, Hunger und dann die Transporte ins Lager. Bei der Verladung ermöglicht einer der jüdischen Polizisten ihm die Flucht; Wladyslaw Szpilman kommt in einem Bautrupp unter, beteiligt sich an der Vorbereitung zum Aufstand und muss dann wieder fliehen. Die polnische Untergrundorganisation kann ihn in einer leeren Wohnung gleich bei der Ghettomauer verbergen, aber auch im Untergrund gibt es nicht nur gute Menschen ...
Seine letzte Flucht führt Wladyslaw Szpilman zurück ins leere, zerstörte Ghetto. Dort wird er in seinem Versteck in einem ausgebrannten Haus von einem deutschen Offizier gefunden.


Polanski erzählt diese Geschichte (die man unbedingt auch lesen sollte!) gradlinig, genau und immer nahe an seiner Hauptfigur. Bewundernswert ist dabei das Maß der erzählerischen Mittel, das der Regisseur findet: Polanski malt jedes Detail, die Dinge, die Körper, die Gesichter, und er schafft einen Blick, der zugleich die Enge der ständigen Gefangenschaft und die Endlosigkeit des Terrors einbezieht. Es ist der Traum vom Leben noch mehr als der vom Überleben, der uns berührt.

Wladyslaw findet zum Beispiel in seinem Versteck ein Klavier, darf aber keinen Ton darauf spielen, um sich nicht zu verraten. So schweben seine Finger über den Tasten, und nur er und wir hören die Musik.

Die Frage, wie das alles darzustellen sei, die Verfolgung, Folterung, Ermordung der Juden durch die deutschen Nazis – sie stellt sich auch hier. Natürlich hat Polanski dabei eine Vorlage zur Verfügung gehabt, die eine  ganz eigenen Erzählweise hat. Wladyslaw Szpilman schrieb seine Erinnerungen gleich nach dem Krieg, ohne eine Phase der Reflexion und der Abgleichung der Erinnerungen. Die Erzählung setzt sich aus Augenblicken zusammen, der Blick hat noch nichts vom Staunen und Entsetzen verloren, das sich von Station zu Station des Leidens steigert, ohne schon ein Ganzes, ein System zu entwerfen, und ohne vollständig im Grauen das Groteske verdrängen zu können. Ein Grund dafür, warum Szpilmans Buch so ungelitten ist, liegt vielleicht auch darin, dass er auch die jüdischen Verbrechen im Ghetto nicht verschweigt, den Widerstand genau so deutlich sieht wie die polnische Kollaboration. Das Buch und der Film analysieren keine historischen Zusammenhänge; sie stellen das Leben auch unter den extremsten Bedingungen als eine Abfolge von Entscheidungen dar. Das Wunder besteht in nichts anderem als in  Entscheidungen für das Leben. Das ist vielleicht keine Antwort, aber eine Präzisierung der Frage: Welche Lebenskräfte kann man aus dem Tod schöpfen? Das ist eine Frage an die Kunst. Der Pianist, eine Lebensstudie, die durch den großartigen Schauspieler Adrien Brody ein Gesicht bekommt, kann keine Antwort geben. Aber in Filmen wie diesem gelingt es uns gelegentlich, über sie nachzudenken. Und darüber, wie wenig vergangen die Vergangenheit ist. (Nach epd film 11/2002)