Coca - Die Taube aus Tschetschenien

Regie u. Drehbuch: Eric BERGKRAUT
Mit: Sainap GASCHAIEWA, Lipkhan BASAIEWA, Tamara ROVKOVA, Ruslan BAZGIEV u.a.

CH 2005, ca. 90 Min.

Mittwoch, 7. Dez. 2005

"Coca" nannten ihre Eltern Sainap Gaschaiewa - die Taube. Geboren in der Verbannung in Kasachstan, wurde sie Geschäftsfrau und zog vier Kinder groß.

Seit 1994 dokumentiert sie, was in ihrer Heimat täglich geschieht: Verschleppung, Folter, Mord. Was Präsident Putin zur "antiterroristischen Aktion" erklärt, hat Züge eines Völkermordes angenommen. Bis zu dreißig Prozent der tschetschenischen Bevölkerung könnten getötet worden sein.
Die Weltöffentlichkeit schweigt, sei es aus Unwissen, Hilflosigkeit oder Opportunismus.

Zusammen mit anderen Frauen hat Sainap Gaschaiewa Hunderte Video- Kassetten versteckt. Jetzt will sie diese nach Westeuropa schaffen. Sie hofft, dass es zu einem Tribunal kommt und die Schuldigen bestraft werden - auf welcher Seite sie auch stehen. Ein Kampf gegen Windmühlen?

Am Anfang des Films bekommt man kurz einen Eindruck davon, welcher Art die Bilder sind, die Gaschajewa und die anderen Frauen sammeln, verstecken und schließlich aus dem Land schmuggeln: Ein Bub, dessen Beine und Unterleib völlig zerfetzt sind, wird zunächst für tot gehalten, als eine Stimme sagt: «Nimm ihn da raus, er wird auch gleich sterben.»
Doch weitere derartige Bilder erspart Eric Bergkraut im Verlauf des Films den Zuschauern - es geht ihm keinen Moment lang um Sensationsmache. Bei seiner Entscheidung darüber, was zeigbar sei und was nicht, sei für ihn stets klar gewesen: Es sollten die mutigen Frauen sein, welche diese Bilder «herstellen», die im Zentrum stehen - nicht die Kriegsgräuel. Dabei habe er die Frauen auch in ihrem sozialen Umfeld zeigen wollen, beispielsweise Sainap, deren Mann Bienen züchtet und der als Muslim ein ambivalentes Verhältnis dazu hat, dass seine ebenfalls muslimische Frau in der Welt herumreist und mit vielen Männern zusammentrifft.

Auf diese Weise gelingt es Regisseur Bergkraut, eine Nähe zu seiner Protagonistin zu schaffen, die auch eine Distanz zu den Schreckensbildern bewirkt. Sein Film «Coca - Die Taube aus Tschetschenien» hat nicht den Anspruch, eine authentische Kriegsberichterstattung zu sein. Es ist vielmehr eine oftmals locker assoziierte Reflexion über grundlegende Fragen von Krieg und Frieden: Wie verhält sich Moral zu Realpolitik? Für Eric Bergkraut und die im Film vorgestellten Aktivistinnen und Aktivisten besteht der eigentliche Skandal darin, dass sich für diese Geschehnisse am Rande von Europa kaum jemand ernsthaft interessiert, geschweige denn darüber aufregt - Russland ist schließlich ein wichtiger Wirtschaftspartner.

Das seit 1994 vom Krieg erschütterte Land Tschetschenien ist ein abgeschlossenes Territorium, wo Zeugen des Geschehens unerwünscht sind. Umso bewundernswerter ist unter diesen Umständen der lebensgefährliche Einsatz von Leuten, wie der Menschenrechtsaktivistin Sainap Gaschajewa. Es sei ihr großer Bekanntheitsgrad innerhalb und außerhalb Russlands, der ihr eine gewisse Gewähr biete, weiterhin am Leben zu bleiben, erzählte die mutige Frau im vergangenen Juni anlässlich eines Aufenthaltes in der Schweiz.

Der Film wurde bereits an mehreren internationalen Festivals gezeigt; eine Einladung aus Russland blieb bisher aus ...


In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für bedrohte Völker
Referenten: GfbV-Obmann Bert SCHARNER und Khawasch BISAEV


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