Stadt ohne Juden

Regie: Hans Karl BRESLAUER
Drehbuch: Ida JENBACH, nach dem gleichnamigen Roman von Hugo BETTAUER
Kamera: Hugo EYWO
Mit: Johannes RIEMANN, Eugen NEUFELD, Hans MOSER, Karl THEMA, Anna MILETY, Ferdinand MAYERHOFER u.v.a.


Ö 1924, ca. 80 Min.

Mittwoch, 3. Okt. 2012

Stummfilm - live am Klavier: Gerhard GRUBER

Wirtschaftkrise nach dem Ersten Weltkrieg. Im Staat Utopia (Hauptstadt: Wien) verschärft die galoppierende Inflation Hunger und Elend der Massen, während Spekulanten und Schieber Unsummen „verdienen“ und verprassen.
Die großdeutsche Partei hat den Sündenbock gefunden: Rat Bernart (Hans Moser in seiner zweiten Filmrolle) glaubt zu wissen, „dass die Juden an all unserem Elend schuld sind“.
Bundeskanzler Schwerdtfeger (Johannes Riemann) lässt das Parlament die Ausweisung aller Juden, auch getaufter und der Kinder aus Mischehen, bis 25. Dez. beschließen.

Jubel und Hoffnung auf Besserung unter der arischen Bevölkerung -  Verzweiflung unter den Juden und deren christlichen Verwandten. Selbst der Schwiegersohn von Rat Volbert (Ferdinand Mayerhofer), welcher den Beschluss begrüßt hatte, muss „hinaus“.
Nach der mit Polizeieskorten erzwungenen Vertreibung ist der Bundeskanzler zufrieden: „Alles, was fremd war, hat das Land verlassen.“

Aber der Aufschwung währt nur kurze Zeit, denn die jüdischen Bankiers im Ausland treffen Maßnahmen gegen die antisemitische Regierung; die Inflation steigt ins Unermessliche und die Umsätze der jetzt von christlichen Besitzern geführten Kaufhäuser sinken entsprechend; Theater und Oper spielen nur mehr drittklassige Werke: Eleganz und Kultur zählen nichts mehr, Wien „verdorft“.

Im Pariser Exil schmiedet der Maler Leo Strakosch (Johannes Riemann) einen Plan, wie er einen Meinungsumschwung in seiner Heimatstadt herbeiführen und zu Lotte (Anna Milety), seiner Verlobten, zurückkehren könnte. Mit „jüdischer“ Schlauheit überwindet er Grenzen und alle Schwierigkeiten - das Ausweisungsgesetz fällt.


Der prophetische Bestseller (1922) des Journalisten und Populärschriftstellers Hugo Bettauer zeigt auf, wohin die antisemitischen Ressentiments der christlichsozialen Partei (Karl Lueger!) und der Deutschnationalen führen könnten.
Der NS5-deologe Rosenfeld bezeichnet den Roman denn auch als „Musterbeispiel jüdischer Zersetzungstätigkeit“. Und nach einer monatelangen Medienkampagne gegen den Autor waren es die Schüsse des Nationalsozialisten Otto Rothstock, an deren Folgen Hugo Bettauer 1925 starb.

Doch entgegen der Ansicht vieler Literaturhistoriker und Filmkritiker war die Ausweisung von ganzen Bevölkerungsgruppen aus religiösen Gründen keine Erfindung Bettauers - man denke nur an die Vertreibung der Juden aus Spanien nach 1492, der Protestanten aus Österreich im Zuge der Gegenreformation oder an den Priester und Reichsratsabgeordneten Joseph Scheicher, dessen Pamphlet „Aus dem Jahr 1920. Ein Traum.“ schon 1900 die „Endlösung der Judenfrage“ durch die Nazis vorwegnahm. (Näheres zu Schleicher in Johannes Kammerstätter: ′Heimat trotz alledem′, Band 1, S. 23 ff.)

Der Film bügelt die Tendenz von Bettauers Roman glatt - sexuelle Anspielungen werden (Angst vor Zensur?) nicht gemacht; der Bundeskanzler des Romans ist Christdemokrat, nicht Großdeutscher; humorvolle Szenen werden eingefügt; schließlich soll der rabiate Antisemit Rat Bernart alles nur geträumt haben.

Lange Zeit galt STADT OHNE JUDEN als verschollen; erst 1991 wurde eine Kopie in den Niederlanden entdeckt (daher auch die holländischen Texte auf den Plakaten der Demonstranten) und danach vom Österr. Filmarchiv restauriert und rekonstruiert. Allerdings waren von den ursprünglich 2.400 Filmmetern nur ca. 1.600 erhalten, ein Drittel muss also als endgültig verloren gelten.

Ein anderer von Bettauers Romanen, DIE FREUDLOSE GASSE, wurde von G.W. PAPST 1925 verfilmt und gilt als ein Meisterwerk des deutschen Stummfilms.

Buchtipp: Die Stadt ohne Juden, Edition Film und Text 3, Filmarchiv Austria