Die Liebenden des Polarkreises

Regie u. Drehbuch: Julio MEDEM
Kamera: Kalo BERRIDI
Musik: Alberto IGLESIAS
Mit: Najwa NIMRI (Ana), Fele MARTINEZ (Otto), Nancho NOVO (Alvaro), Maru VALDIVIELSO u.a.

SP 1999, ca. 110 Min.

Mittwoch, 16. Jan. 2002

Die Liebesgeschichte zwischen Otto und Ana umspannt 17 Jahre.
Als Kinder begegnen sie sich, werden anschließend Stiefgeschwister und mit der Erlangung der sexuellen Reife ein Liebespaar. Mit Ottos Bild in Anas Augen gibt Julio Medem zu Beginn ein Rätsel auf, dem er sich in Form von Kapiteln, die jeweils die Sicht des einen oder des anderen auf die selben Ereignisse beschreiben, langsam annähert. Wer keine Sentimentalität scheut, findet einen kunstvoll konstruierten Liebesfilm jenseits des Mainstreams vor.

Die Kamera schwenkt über eine unberührte Landschaft in Lappland. Ewiges Eis scheint das letzte Refugium für ewige Liebe zu sein. Und wo große Gefühle und erhabene Natur zusammenlaufen, muss ein rätselhaftes Bild die Geschichte bannen: Ottos Gestalt in Anas Augen. Dieses Bild steht am Anfang und schließt am Ende den Kreis. Geometrisch fast werden Kreise entworfen, die sich schneiden oder nicht berühren, die von größeren umfasst werden oder im Abschluss durchkreuzt werden, ganz zuletzt von einem letzten, großen, dem Polarkreis.

Wie der Titel bereits preisgibt, ist Die Liebenden des Polarkreises ein Liebesfilm; einer aber, der nicht in einem Melodram aufgeht. Schicksalhafte Zufälle inszeniert Medem, um zuletzt aber kein Schicksal, sondern einen banalen Zufall scheitern zu lassen. Wer sich trotz der schwerlastigen Musik,  trotz der poetisierenden Sprache, trotz der in reine Farben hinein gefilterten Bilder auf eine Liebesgeschichte einlassen will, der erhält sie zweifach: Die selben Ereignisse werden aus dem Blickwinkel von Otto und aus dem Blickwinkel von Ana gezeigt. Wer dem Film nicht traut, kann nie sicher sein, eine Szene endgültig hinter sich gebracht zu haben.

Um sich keine potentiell aufgeladene Situation entgehen zu lassen, aber auch, um seine Figuren gänzlich zu kontrollieren, setzt der Film zu einem frühen Beginn an: Ana und Otto kennen sich seit Kindertagen.
So ausdrucksstark ist Ottos Liebe zu Ana, dass ein Papierflugzeug, das er ihr über den Schulzaun, der die Geschlechter trennt, zukommen lassen will, und das zufällig (so glaubt Otto) oder bewusst (so weiß Ana) seinem Vater zugeschrieben wird, zwei andere Menschen zusammenbringt: Otto und Ana  werden Stiefgeschwister, als Teenager werden sie ein Liebespaar.
Otto glaubt an das Schicksal ("Kannst du dir vorstellen, dass etwas ewig lebt"), Ana an den Zufall ("Es gibt keine guten Zufälle mehr, ich habe sie alle aufgebraucht"). Beide reizen sie das Gegenteil ihres Glaubens aus.

Eine Geschichte im Hintergrund, eine Erzählung von einem Deutschen, der ebenfalls Otto hieß und ein Pilot war, wie Otto es werden wird, gerät zur Probe aufs Exempel. Melodramen entfalten ihre Wirkung nicht zuletzt dadurch, dass ihre Figuren an den Wiederholungen, die unumgänglich sind, verzweifeln. Die Wiederholung, auf die es Otto absieht, scheitert. Die Kreise, die Medem konstruiert, lassen sich in Wirklichkeit nicht schließen, sie sind vielmehr Parabeln: auf eine Liebe, die, kaum dass sie glüht, in ewigem Eis erstarrt.