Lampedusa

Regie u. Drehbuch: Emanuele CRIALESE
Kamera: Fabio ZAMARION
Musik: John SURMAN
Mit: Valeria GOLINO, Vincenzo AMATO, Frnacesco CASISA, Veronica d’AGOSTINO, u.a.

I/F 2002, ca. 90 Min.

Mittwoch, 26. Mai 2004

Im Südwesten Siziliens, auf der Höhe von Tunis gelegen, ist Lampedusa die "afrikanischste" der italienischen Inseln, ein karges Stück Land, dessen Einwohner hauptsächlich von Fischfang leben.
Dorthin zog sich Emanuele Crialese nach neun Jahren Aufenthalt in New York und dem Erfolg seines ersten Films zurück. Er lebte sechs Monate auf Lampedusa, arbeitete als Fischer und hörte die Legende, die ihn zu seinem zweiten Spielfilm inspirierte: "Es ist die Geschichte dieser jungen Mutter, auf die die Dorfbewohner nur herunter schauen. Sie dachten, sie wäre  errückt, denn sie bewegte sich ein wenig außerhalb der strengen Regeln und Normen der Gesellschaft, in der sie lebte. Eines Tages verschwand die Frau - zurück blieben nur ihre Kleider am Strand.
Die Zeit verging, und so wurde die Frau zur Legende. Die Dorfgemeinschaft fühlte sich schuldig, sie hatte die Frau in den Selbstmord getrieben. Doch die Legende erzählt auch, dass die vielen Gebete die Frau auf wundersame Weise zurück ins Leben gebracht haben. Sie kehrte zu ihrer Familie  zurück." (Emanuele Crialese)

Sie heißt also Grazia und ist wie das Meer: abgründig, voller Höhen und Tiefen, einmal sanft, ein Wärmestrom der Zärtlichkeit, dann wieder aggressiv, stürmisch wild. In jedem Fall zu unberechenbar, zu kompliziert für die Bewohner von Lampedusa, einer Insel im Süden Siziliens, wo man sich eben so durchs Leben schlägt. Die Männer fahren zur See, die Frauen arbeiten in der Fischfabrik. Droben auf den Klippen erproben sich die Jungen in Revierkämpfen oder bei der Vogeljagd. Und abends geht es dann, fein geschniegelt und gebügelt, in die Via Roma zum Flanieren, zum alten Spiel zwischen ′ragazzi′ und ′ragazze′.

Eigentlich wäre alles in Ordnung, wäre da nicht diese Grazia, Mutter eines pubertierenden Mädchens und zweier aufmüpfiger Buben. Der Dorfgemeinschaft sind die sinnliche Unbefangenheit der jungen Frau und ihre wechselhaften Launen ein ständiger, irritierender Dorn im Auge. Pietro, ihr Ehemann, fühlt sich mehr und mehr unter Druck gesetzt, bis er schließlich einverstanden ist, seine Frau zu einer Behandlung nach Mailand zu schicken. Aber Grazia läuft davon. Und Pasquale, ihr 13jähriger Sohn, wird - allein gegen alle - Mittel und Wege finden, seine über alles geliebte Mutter zu beschützen ...

Verwurzelt in der Tradition des neorealistischen Kinos, fesselt der Film durch seine ebenso originäre wie moderne Sprache, die nicht erklärt, sondern der Macht der Bilder vertraut, dem flirrenden Licht, der ausgeprägten Körpersprache seiner Darsteller. Betörend, faszinierend und bizarr: Valeria Golino als Grazia. Die Unterwasseraufnahmen von Kameramann Fabio Zamarion sind von bezaubernder Schönheit, von atmosphärischer Wucht.

LAMPEDUSA ist dramatisches italienisches Kino, erzählt mit der Vitalität und der Leichtigkeit eines Märchens. Feinfühlig, verführerisch sinnlich, aber auch in unbeschönigender Härte beschreibt Emanuele Crialese das Leben in einem Fischerdorf und die Seelenlandschaften einer Frau, die sich den Spielregeln dieser isolierten Gemeinschaft nicht fügen will.

Preis für den Besten Film CANNES 2002