Aus der Zeit

Regie u. Drehbuch: Harald FRIEDL
Kamera: Bernhard PÖTSCHER
Musik: Gerald SCHULLER
Mit: Katharina u. August JENTSCH, Josef KIENESBERGER, Gertrude u. Werner FRITZ, Fee FRIMMEL

Ö 2006, ca. 80 Min.

Mittwoch, 9. Jan. 2008

Der 49-jährige Filmemacher, Schriftsteller und Musiker Harald Friedl porträtiert in seinem Dokumentarfilm „Aus der Zeit“ liebevoll vier alte Wiener Geschäfte, die allesamt einer aussterbenden Spezies angehören: dem Einzelhandel.
Vier Läden, vier Schicksale.
Lederwaren Jentsch in der Kaiserstraße gibt es seit 1874. In der Werkstatt, die seit Jahrzehnten nicht aufgeräumt wurde, reparieren August und Katharina Jentsch Jacken und Taschen. Während der Arbeit philosophieren sie eindringlich über Details des Materials, über die Geschichte des Geschäfts, das Vergehen der Zeit (“Hier herinnen habe ich das Gefühl, es hat nie begonnen und es hört nie auf.“), über das Weitermachen trotz geringer Einkünfte.
Fee Frimmel führt am Petersplatz das Geschäft ihres Mannes weiter. Der Knopfkönig war eines der schönsten Geschäfte von Wien, man belieferte den Kaiser höchstpersönlich. Seit dem Niedergang der Haute Couture, den sich vor 20 Jahren noch keiner vorstellen konnte, ist auch das Geschäft mit den Knöpfen am Boden. Fee Frimmel ärgert sich über Kundschaften und beklagt ihr Schicksal. Das Leben hat ihr insgesamt übel mitgespielt. Doch schließlich wendet sich das Blatt doch noch…
Die Vorstadt-Fleischerei Fritz (gegründet 1904) ist nicht nur als Nahversorger, sondern auch als Sozialraum wichtig. Viele Kunden sind mit Gertrude und Werner Fritz seit Jahrzehnten bekannt, die Umgangsformen entsprechend persönlich. Doch für die langen Arbeitstage fühlt sich das Paar langsam zu alt und Nachfolger gibt es nicht.
Pepi Kienesberger (85) spaziert einsam in seiner Drogerie in der Baumgasse (gegründet 1928) umher und führt Selbstgespräche. Bei Geldeingängen beginnt die uralte Registrierkassa zu rattern. Er kommentiert das Sortiment, seine Lehrzeit bei der jüdischen Familie, Arisierung und Krieg. Dann wieder träumt er von den goldenen Jahren.

Manch unfreiwillig komische Situation und der überraschende Schmäh der alten Leute, die ihre Lage sentimental und nüchtern zugleich betrachten, schmücken diesen schönen Film voll Wehmut, der nicht der guten alten Zeit nachjammert, sondern hinschaut und herzeigt.

Als Regisseur hält Helmut Friedl Respektabstand, bleibt meist auf Distanz – einerseits um die Menschen in ihren Räumen zur Geltung zu bringen, andererseits aber wohl auch, um sich selbst nicht in den Vordergrund zu spielen und die Gespräche zu stören. Was er sucht, ist Intimität und nicht Indiskretion.

„Aus der Zeit“ – ein Film über Erinnerungen und Prägungen, über das Festhalten und Loslassen.