Der Stellvertreter

Regie u. Drehbuch: COSTA-GAVRAS, nach dem Drama von Rolf HOCHHUTH
Kamera: Patrick BLOSSIER
Musik: Armand AMAR
Mit: Ulrich TUKUR (Kurt Gerstein), Mathieu KASSOVITZ (Riccardo Fontana), Ulrich MÜHE (Arzt), Michel DUCHAUSSOY (Kardinal), Ion CARAMITRU (Graf Fontana), Antje SCHMIDT (Frau Gerstein), Marcel IURES (Papst) u.v.a.

F/BRD 2002, ca. 130 Min.

Mittwoch, 9. April 2003

Hauptfigur der Verfilmung von Rolf Hochhuths viel diskutiertem Drama ist der SS-Offizier Kurt Gerstein. Der engagierte evangelische Christ macht Karriere beim Hygiene-Institut der Waffen-SS. Als Leiter der Desinfektionsabteilung wird er von dem diabolisch-zynischen „Doktor“ in die Pläne zur Vernichtung der europäischen Juden einbezogen. Gerstein wird für die Versorgung der Lager mit dem Gas Zyklon B zuständig.

Als er in Polen mitansehen muss, wie Juden vergast werden, wird ihm klar,
dass er die Öffentlichkeit informieren muss. In der Überzeugung, ein Aufstand der Aufrechten könne die Judenvernichtung stoppen, kontaktiert er wichtige Persönlichkeiten der evangelischen Kirche (Superintendent Dr. Dibelius) und Vertreter anderer Staaten (den Sekretär der Schwedischen Botschaft), erhält aber nicht die erhoffte Unterstützung.

Dabei wird immer wieder seine SS-Mitgliedschaft problematisiert; Gerstein rechtfertigt sein Verbleiben in der Organisation damit, dass er im Zentrum des Bösen als Augenzeuge Gottes das Unfassbare bezeugen müsse.
So sieht er schließlich den einzigen Weg darin, den Papst als größte moralische Autorität anzusprechen.
Der Nuntius in Berlin weist den SS-Mann zurück, der Jesuitenpater Ricardo Fontana aber schenkt Gerstein Gehör und setzt alles daran, Kontakt zu Pius XII herzustellen.
Doch der Papst kann sich zu keiner Stellungnahme durchringen ...

Hochhuth übt in seinem 1963 uraufgeführten Theaterstück heftige Kritik am opportunistischen Schweigen von Papst Pius XII. zum Holocaust und klagt den Vatikan der unmenschlichen Ignoranz an.

Diese Dimension des Stoffs rückt in der Verfilmung des griechischen Regisseurs Constantin Costa-Gravas, durch Filme wie „Z“ oder „Vermisst“ bekannt geworden, an den Rand, ihn interessiert vielmehr die historische  Persönlichkeit von Kurt Gerstein und sein Scheitern ebenso wie das von Fontana.
Der Grundkonflikt ist dem klassischen Modell des Politthrillers vergleichbar: der Einzelne in seinem aussichtslosen Kampf gegen ein System, das die Wahrheit mit aller Macht unterdrückt. Der Film ist ein moralischer Aufschrei, eine Anklage gegen Untätigkeit, die sich letztlich nicht nur gegen den Papst richtet. Alle ahnen oder wissen von der Vernichtung der Juden, greifen aber aus verschiedenen Motiven heraus nicht ein.

Costa-Gavras benötigt dazu weder Action noch Bilder des Schreckens – letzterer wird ausschließlich in den Dialogen zum Ausdruck gebracht. Für den Wahnsinn des Holocausts findet Costa-Gavras symbolisch intensive Bilder, die leitmotivisch immer wieder auftauchen: fahrende Güterzüge. InRichtung Osten sind die Türen stets geschlossen, in Richtung Westen  stehen sie weit offen.


Zur Diskussion mit Dr. Friedrich Schragl s. VERANSTALTUNGEN (Archiv).