Der Mann aus Marmor

Regie: Andrzej WAJDA
Drehbuch: Aleksander ŚCIBOR-RYLSKY
Kamera: Edward KŁOSIŃSKI
Mit: Jerzy RADZIWIŁOWICZ, Krystyna JANDA, Tadeusz ŁOMNICKI, Michał TARKOWSKI, Piotr CIEŚLAK u.v.a.

PL 1977, ca. 155 Min.

Donnerstag, 7. Okt. 2004

Schlüsselfilm zur polnischen Nachkriegsgeschichte

Der polnische Regie-Altmeister Wajda musste fast 15 Jahre warten, bis er diesen Film realisieren konnte, kontrastiert er darin doch die stalinistische Nachkriegszeit mit dem Polen der 70er Jahre - vor ‚Solidarnosc’ -, als es immer noch gefährlich war, die „Helden der Arbeit“ oder die offizielle Parteilinie in Frage zu stellen.

Mateusz Birkut (Jerzy Radziwiłowicz), Maurer in Nowa Huta in den 50er Jahren, wurde berühmt und „Held der Arbeit“, weil es ihm gelang, in einer einzigen Schicht 30.000 Ziegelsteine zu legen. Sogar ein Marmordenkmal bekam er.
Nun wurde er dazu benutzt, mit seinem Kollegen Witek die Maurer im ganzen Land auf ein neues ökonomisches Arbeitsziel zu verpflichten. Bei einer Vorführung seines Leistungwillens wurde jedoch ein Attentat auf ihn verübt: Er verätzte sich beide Hände und kkonnte nicht mehr als Maurer arbeiten. Nach kurzer Zeit fiel er auch ′oben′ in Ungnade, und seine Spur verliert sich. 

Die Filmstudentin Angieszka (Krystyna Janda) möchte ihren Abschlussfilm über die Generation ihrer Väter drehen. Im Keller eines Museums stößt sie auf ausrangierte Statuen, darunter jene von Mateusz Birkut. Sie besorgt sich Archivmaterial, alte Wochenschauen, aus denen sie mehr über den "Mann aus Marmor" zu erfahren hofft, aber ihre Recherchen über Birkut werden behindert und die fertige Dokumentation im Fernsehen nicht gesendet: zu brisant und unangenehm sind ihre Fragestellungen und Ergebnisse.


Mann aus Marmor ist Wajdas erster Film, in dem er die  Gegenwart in einen direkten Bezug zur jüngsten Vergangenheit setzt. Er begnügt sich aber nicht mit einer Kritik der stalinistischen Epoche, sondern erklärt das Bild der Gegenwart aus den Nachwirkungen der Vergangenheit.
Dramaturgisch löst er die Komplexität der verschränkten Zeitebenen mittels einer ausgeklügelten Rückblendentechnik, in der die Recherche der Studentin das Band bildet, an das die Exkurse in die verschüttete Geschichte folgerichtig geknüpft sind, um das Bild der vergangenen Epoche schrittweise zu enthüllen.
Der Zuschauer ist somit in der gleichen Situation wie die Studentin. Die vielfachen Brechungen markieren die Schwierigkeiten einer Suche, die von Zufällen und subjektiv interpretierten Berichten von Ereignissen oder auch Behinderungen abhängig ist.
Aus tatsächlichem Dokumentarmaterial, Wochenschauen, aus fiktiven, nachinszenierten Dokumenten, die den Heldenmythos Birkuts formten, aus den von seinen Zeitgenossen kommentierten Episoden aus Birkuts Leben - die in Fragmenten nacherzählte Biografie - fügt sich das Mosaik einer Epoche mit Rückwirkung auf die Rahmenhandlung der Gegenwart.
(Deutsches Histor. Museum, adapt.)


Andrzej Wajdas "Der Mann aus Eisen" (1981) behandelt eine ähnliche Thematik, konzentriert sich aber auf die Jahre 1976-80.